Akute Lumbalgie: Paracetamol in Studie nur ein Placebo

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Sydney – Paracetamol, weltweit ein Medikament der Wahl zur Behandlung von Rückenschmerzen, konnte in einer randomisierten klinischen Studie im Lancet (2014; doi: 10.1016/S0140-6736(14)60805-9) an Patienten mit akuter Lumbalgie nicht überzeugen. Die Zeit bis zur Erholung von den Schmerzen konnte im Vergleich zu Placebo nicht verkürzt werden. Auch die Schmerzintensität, das Ausmaß der Beein­trächtigungen, die Schlafqualität und Aspekte der Lebensqualität besserten sich nicht.

Kreuzschmerzen sprechen nicht immer auf eine medikamentöse Therapie an. Den Patienten wird dennoch meistens zu einem Behandlungsversuch geraten. Dabei wird Paracetamol den nicht-steroidalen Antiphlogistika (NSAID) oft vorgezogen, da es besser verträglich ist und das Risiko einer gastrointestinalen Blutung vermieden wird.

Die Evidenz für die Empfehlung ist jedoch gering. In einer früheren Meta-Analyse hatte sich Christopher Maher vom George Institute for Global Health in Sydney darüber beklagt, dass die Wirkung gerade einmal in sieben Studien mit 676 Teilnehmern unter­sucht worden sei, von denen keine einzige eine Wirkung belegen konnte. Hinzu kam, dass alle Studien methodische Fehler aufwiesen (Eur Spine J 2008; 17: 1423–1430).

Das Team entschloss sich deshalb, eine eigene randomisierte Studie durchzuführen. Als Sponsoren konnte der     australische National Health and Medical Research Council und die Firma GlaxoSmithKline Australia gewonnen werden, die auch die Medikamente zur Verfügung stellte. 1.643 Patienten mit akutem Kreuzschmerz, dessen Beginn im Durch­schnitt 10 Tage zurück lag, nahmen an der Studie teil.

Alle erhielten zwei Medikamentenschachteln. Aus der einen sollten sie regelmäßig alle sechs bis acht Stunden zwei Tabletten einnehmen. Die andere war für den Bedarfsfall gedacht, wenn die Schmerzen nicht nachließen. Aus dieser Schachtel durften sie jeweils ein bis zwei Tabletten einnehmen, aber nicht mehr als acht am Tag und unter Einhaltung eines Abstands von 4 bis 6 Stunden

Was die Patienten nicht wussten: Bei einem Drittel der Patienten enthielten nur die Tabletten zur regelmäßigen Einnahme Paracetamol (665 mg mit verzögerter Freisetzung), in der zweiten Gruppe war der Wirkstoff nur in den Tabletten für den Bedarfsfall enthalten, und in der dritten Gruppe waren alle Tabletten Placebos. Primärer Endpunkt der Studie war die Dauer bis zur Erholung von den Schmerzen, definiert als eine Schmerzintensität von 0 oder 1 auf einer 10-Punkte-Skala.

Dieses Ziel hatten am Ende der 12-wöchigen Nachbeobachtung in allen drei Gruppen fast 85 Prozent der Patienten erreicht, was aufgrund des in aller Regel selbstlimi­tierenden Charakters von akuten Rückenschmerzen auch zu erwarten war. Was das Team um Christopher Williams vom George Institute aber überraschte, war, dass sich die Erholung in allen drei Gruppen gleich schnell vollzog. Nach durchschnittlich 16 bis 17 Tagen waren die meisten Patienten wieder schmerzfrei. 

Auch ein Nutzen der Paracetamol-Einnahme auf die akuten Schmerzen war nicht nachweisbar. Die Patienten bewerteten die Schmerzen täglich in einem Schmerztage­buch. Mehrmals im Verlauf der Studie beantworteten sie den Roland Morris-Fragebogen zu Rückenschmerzen, bewerteten die Auswirkungen auf das Alltagsleben in der Patient-Specific Functional Scale, stuften etwaige Depressionen auf einer Skala von 0 bis 10 ein und gaben eine globale Einschätzung des Behandlungserfolgs ab. Die Schlafqualität wurde im Pittsburgh Sleep Quality Index und die Lebensqualität im Physical and Mental components of Short Form 12 gemessen. 

In allen Untersuchungsinstrumenten besserten sich die Rückenschmerzen der Patienten, aber in keinem war ein Unterschied zwischen den drei Gruppen erkennbar. Paracetamol war in keinem Aspekt besser als Placebo. Beide Mittel waren in jeder Hinsicht wirksam, und am Ende waren mehr als 70 Prozent der Patienten mit dem Behandlungserfolg zufrieden.

Für Bart Koes und Wendy Enthoven von der Erasmus Universität in Rotterdam stellt sich deshalb die Frage, wie die Ergebnisse wohl in einer vierten Gruppe ausgefallen wären, in der ganz auf eine Schmerzbehandlung mit echten oder falschen Schmerztabletten verzichtet worden wäre.

Obwohl die beiden Editorialisten die Studie als methodisch hochwertig einstufen, sind sie von der Wirkungslosigkeit von Paracetamol bei der akuten Lumbalgie noch nicht restlos überzeugt. Bevor die Empfehlungen ersatzlos aus den Leitlinien gestrichen werden, sollten weitere Studien durchgeführt werden, fordern sie. Andererseits müssten jetzt auch die anderen Schmerzmittel (sprich NSAID) auf den Prüfstand.

Die Zurückhaltung der Editorialisten erklärt sich aus der guten und als belegt einge­stuften analgetischen Wirkung von Paracetamol in anderen Indikationen wie Kopf­schmerzen, Zahnschmerzen oder postoperative Schmerzen. Dass akute Rücken­schmerzen hier eine Sonderrolle einnehmen, lassen die zurückhaltenden Empfehlungen in der Nationalen Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz erkennen.

Zu einem Behandlungsversuch wird dort nur bei leichtem bis moderatem akutem Kreuzschmerz geraten. Die maximale Tagesdosis sollte auf 3 Gramm beschränkt werden. Der Behandlungserfolg sei kurzfristig zu überprüfen. Bei subakutem und chronischem Kreuzschmerz soll Paracetamol nur für kurze Zeit und in möglichst niedriger Dosis erfolgen. Im Hintergrund steht hier das Risiko von Leberschäden beim längeren hochdosierten Einsatz.

Liebe Güte, hatte vor einiger Zeit einen derben Hexenschuß, bin leider vor lauter Schmerz nicht einmal mehr mitten in der Nacht zum Inder meines Vertrauens gekommen. Habe Novalgin geschluckt (Paracetamol nicht in Hausapotheke verfügbar) - hat blöderweise sogar geholfen! Werde mich aber demnächst für     eine evidenzbasierte, randomisierte Studie einsetzen, ob Bauarbeiter weniger Rückenschmerzen haben, wenn sie täglich Currywurst essen.